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Offener Brief an den Justizminister NRW Dr. Benjamin Limbach vom 29. Mai 2024

Gefährdung des Rechtsstaats durch Einsparungen zu Lasten der Anwaltschaft und der Justiz

 

Sehr geehrter Herr Justizminister,

als größter Anwaltverein des Landes Nordrhein-Westfalen sehen wir uns vor dem Hintergrund aktueller Mitteilungen aus Ihrem Ministerium veranlasst, auf eine Gefährdung des Rechtsstaats durch Einsparungen im Bereich der Justiz hinzuweisen.

Zum Rechtsstaat gehört, dass allen Menschen der Rechtsweg offensteht und sie nicht nur erwarten können, dass die Justiz mit hoher Qualität und angemessener Zeit Recht spricht und Verfahren erledigt, sondern auch dass die Menschen für ihre rechtlichen Probleme und bei der Wahrnehmung ihrer Rechte Ansprechpartner an ihrer Seite haben, die sich mit der Justiz auf Augenhöhe befinden, was nur die freie und damit selbständige Anwaltschaft leisten kann.

Für die Anwaltschaft ergibt sich bereits seit Jahrzehnten das Problem, dass in bestimmten Bereichen eine Interessenwahrnehmung kein auskömmliches Einkommen mehr bietet und diese deswegen nur noch eingeschränkt von der Anwaltschaft abgedeckt werden. Die Zahl der selbständig tätigen Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte schrumpft erstmals seit Jahrzehnten deutlich. Parallel dazu wenden sich die Menschen bekanntermaßen von der Zivilgerichtsbarkeit ab, weil den Menschen eine Erledigung in emem vertretbaren zeitlichen Rahmen durch die Gerichte kaum noch versprochen werden kann. Häufige Richterwechsel, immer komplexere Lebenssachverhalte sowie immer schwierigere Gesetze machen die rechtliche Vertretung für die Anwaltschaft und die Arbeit für die Richterschaft immer anspruchsvoller und zeitaufwendiger.

Um also den Rechtsstaat für die Zukunft zu sichern und die seit langem bekannten Defizite zu beheben, bedarf es einer Investition in den Rechtsstaat und keiner Einsparungen. Rechtsstaat ist Teil der Daseinsvorsorge. Der Zugang zum Recht muss gewährleistet bleiben.

Wie wir als Kölner Anwaltverein erfahren haben, setzt sich das Land Nordrhein-Westfalen nicht nur unzureichend für eine deutliche und dringend gebotene Erhöhung der Gebühren des RVG ein, weil dies Prozesskosten-, Verfahrenskosten- und Beratungshilfe teurer macht, sondern plant jetzt auch noch den Abbau von Referendarstellen, so dass es zukünftig jährlich eine deutliche Reduzierung des Nachwuchses an Volljuristinnen und Volljuristen in Nordrhein-Westfalen geben wird.

Damit wird die oben dargestellte Situation nur noch weiter verschlimmert werden. Wenn der Nachwuchs in Justiz und Anwaltschaft fehlt, wird die Dauer der Verfahren noch länger, es wird noch mehr Richterwechsel geben, um mal da und mal dort die Defizite abzudecken, und die Anwaltschaft wird den Bedarf der Menschen nach unabhängiger Vertretung und Beratung schlichtweg nicht mehr befriedigen können, weil kaum noch jemand den selbständigen Anwaltsberuf ergreift.

Bereits jetzt wandern gute Absolventinnen und Absolventen in das Angestelltenverhältnis und gut bezahlte Positionen in der Wirtschaft ab. Weder gehen diese in die Justiz, noch in die selbständige Anwaltschaft, um die rechtsstaatlich notwendige Grundversorgung der Bevölkerung zu sichern. Es ist deswegen dringend notwendig, für mehr Nachwuchs und eine bessere finanzielle Ausstattung von Anwaltschaft und Justiz zu sorgen, statt zu sparen und zusätzlich den Nachwuchs künstlich zu verknappen.

Wir halten es deswegen dringend für geboten,

1. dass Sie sich auf Bundesebene für eine deutliche Anhebung der Gebührensätze des RVG einsetzen, um den Anwaltsberuf wieder attraktiv zu machen und so die rechtsstaatliche Grundversorgung mit Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten für die Grundbedürfnisse der Bevölkerung zu sichern,

2. die Anzahl der Referendarstellen nicht zu senken, sondern mindestens auf bisherigem Niveau zu halten, besser zu erhöhen, um den Bedarf an Nachwuchs für die selbständige Anwaltschaft und die Justiz zu decken, der in Zukunft in der Anwaltschaft wegen des demografischen Wandels noch steigen wird,

3. die Justiz mit den notwendigen finanziellen Mitteln auszustatten, dass Bürokratie abgebaut und überlange Verfahrensdauern vermieden werden.

In unseren Augen muss der Staat gerade in der heutigen Zeit für einen leistungsfähigen Rechtsstaat sorgen. Die Bürger haben einen Anspruch auf flächendeckende Versorgung mit Anwältinnen und Anwälten und auf eine zügig und professionell arbeitende Justiz. Die Nachrichten, die uns erreicht haben, lassen uns daran zweifeln, ob dies zukünftig hinreichend sichergestellt sein wird. Die Leistungsfähigkeit des Rechtsstaats ist in Gefahr, wenn nicht sogar bereits geschwächt.

Auch würde die Anwaltschaft es sehr begrüßen und steht für Gespräche jederzeit bereit, wenn die Anwaltschaft von der Justiz bei der großen Aufgabe des Bürokratieabbaus und der Digitalisierung mehr eingebunden würde.

 

Unterzeichnet vom Vorsitzenden des Kölner Anwaltverein e. V.
RA Markus Trude